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Ein Durcheinander.

Artikel, Autobiografisches, und Sachen, die mir sonst so eingefallen sind:

Ick kann nich Berlinern

Eigentlich bin ich ja Berliner, aber ick kann nich richtich berlinern. Dabei bin ich den größten Teil meines Lebens hier, 17 Jahre Westberlin und den Rest im vereinichten. Na jut, ick berlinere immer stärker, je weiter ich von der Hauptstadt entfernt bin.  Als Autor der “Kreuzberger Nächte” bin ick ooch Berufsberliner und die Leute erwarten det, aber hier trau ick mer nich so janz. Ick weeß ooch nich, wie’t richtich is, wa.

Mir scheint, jeder Berliner Bezirk oder gar jeder einzelne hat seinen persönlichen Dialekt. Na jut, jeder einzelne is villeicht übatrieben, ooch wenn’t Leute jibt, die so viel Platz brauchen, det se ne eijene Postleitzahl haben könnten.

Positiv gesehen ist Berlinerisch total demokratisch, jeder quatscht gerade so dämlich, wie’t ihn innen Kopp kommt. Dabei vermeiden die meisten Berliner zuviel Berlinisch hinternander in eenem Satz. “Meine Nase läuft” müsste in strikter Übertragung in den Dialekt “Meene Neese looft” heißen. Sacht aber kaum eener. Entweder man sagt “meine Neeese” oder “meene Nase”.

Meine Schwiegermutter, Urberlinerin, sagt übrijens  “Meine  Nase rennt”, womit bewiesen is, dass der Hang zum Dämlich-Quatschen ausgewachsener ist, als der zum Berlinern.

Der Berliner dreht die Worte und Klänge durch die Mangel und da kommen so schöne Worte wie “Reißmatismus” oder “Oberschweineöde” vor, nur mal so “zum Bleistift”.

Wie gesagt, der Berliner misstraut seiner eigenen Sprache. Vor allem bei gleichen Klängen, dann  wird schnell mal was auf Hochdeutsch ausgesprochen. Man sagt zwar Meene Oogn, Meene Olle aber eigentlich nich: Meene Kleene, dann lieber “meine Kleene” oder der Berliner klaut sich was aus dem Plattdeutsch und sagt “meene Lütte”. (Wenn man allerdings “die Lütte” sagt, ist die Schauspielerin Angelika Mann gemeint. Die ist übrijens nach Berliner Ausdruck “nur ‘n Kopp größer als ‘n Dackel” und kann “untern Postkasten durchloofen”)

Viele Berliner verfallen mitten in einem Satz schon mal vorsichtshalber ins Hochdeutsche, oder wat se dafür halten. So entstehen “herlige” Zeiten, weil man glaubt, “herrlich” wäre Berlinerisch.

Ansonsten verändert jeder Berlinernde die Worte scheinbar nach Belieben, da werden Konsonanten ausgetauscht wie nischt, Selbstlaute verlängaat und man scheut sich nich, irjendwo ‘n Buchtstaben einzubauen. Nei-en! Oder anzuhängen: Ich trink zu ville.

Womit wer plötzlicht bei mir persönlich wärn.

Ick habe üba dreissich Jahre jebraucht, bis ick mein erstes Lied auf Berlinerisch jeschrieben habe. Und nu isset fertich und latürnich isset ein Heimatlied! Also hört und staunt!

Berliner Spitznamen

Auf Ansichtskarten liest man immer wieder die Spitznamen, die der Berliner angeblich allen möglichen Gebäuden anhängt. Die meisten davon sind Erfindungen von unterbeschäftigten Zeitungsmachern, aber einige sind schon in Gebrauch, wie die Goldelse, also die Victoria auf der Siegessäule. Apropos Siegessäule. An dem Wort kann man gut die Unterschiede vom Berlinerischen zu einem anderen Dialekt demonstrieren. “Siegessäule” ist in Berlin ein Denkmal in Schwaben das schnellste Schwein beim Ferkelrennen.

Zurück zu den Berliner Spitznamen : Das nächste wäre der “Tränenpalast”, in dem Westbesucher bei Besuchen in Ostberlin Abschied nehmen mussten. Bei manchen Bezeichnungen hat sich der ursprüngliche Name verflüchtigt, wie der Bierpinsel oder der Wasserklops wirklich heißen, fällt mir echt nich ein, ooch die Rostlaube, ein Teil der Universität, hatte mal einen wohlklingenderen Namen, aber inzwischen heißt det Ding ooch offissiell so. Aproposs offissiell, der Berliner spricht kein “z” außer bei dem Wort “Zenter”, schön für ihn, dass wir in den letzten Jahren reichlich Einkaufszenter dassu bekomm’n ham. Außerdem gibt’s nur in Berlin ein Wort mit 4 “tz”: “AtzVentzKrantzKertze!”

Nochmal zurück zu den sogenannten Spitznamen, die Berliner haben ihre Straßen und Plätze so lieb, dass viele Kosenamen haben. “Görli” ist der Görlitzer Bahnhof, “Theo”, der “Theodor-Heuss-Platz”, “Alex” ist klar, “Kutschi” – schon schwieriger – kommt von Kurt-Schumacher-Platz. Ich wohne in der Nähe vom “Free Willy” ,dem Friedrich-Wilhelm-Platz. Mein Liebling in dem Zusammenhang ist der Pladelu, Platz der Luftbrücke. Dann gibt’s natürlich die Straßen, die Potse, Potsdamer Straße, dann der Te-Damm, der  Tempelhofer Damm, seine  gerade Fortsetzung, den Mariendorfer Damm nennen Eingeweihte Ma-damm. Den Kudamm nennen alle Kudamm, nur die am Kudamm wohnen, sagen Kurfürstendamm. Besonders schön, erst neulich gelernt, die Krone, der Kronprinzessinnenweg . Das ist eine kilometerlange, für den Autoverkehr gesperrte Asphaltstrecke durch den Wald, auf der man nach Herzenslust radeln, skaten oder joggen kann, ohne auf die Abgase der parallel verlaufenden Stadtautobahn verzichten zu müssen.

GO-IN, (Steve Club, Folkpub)
Als ich das erste Mal ins GO-In kam, war es schon eine Legende: Die Berliner Liedermacher der “ersten Generation” waren fast alle dort aufgetreten, da musste man einfach hin, wenn man in diesem Metier etwas werden wollte.
Ich hielt das Niveau dort für derartig hoch, dass ich mich erst nach dem Gewinn des Nachwuchswettbewerbs beim Interfolk-Festival traute im GO-IN vorzuspielen.
Es klappte und so zählte ich von da an zu Auserwählten, die zwei bis viermal im Monat dort für, ich glaube, 8 Mark und zwei Freibier auftreten durften.
Schon bald konnte ich dieses Geld gut gebrauchen, denn bei einem der ersten Auftritte wurden mir in der Garderobe des Clubs 80 Mark geklaut.
Wer sich jetzt bei Garderobe etwas tolles vorstellt, liegt so was von daneben. Es war ein schmaler Kellervorraum, der nach hinten hin noch schmaler wurde. Es gab möglicherweise einen Spiegel und eine Sitzbank. Rechts über der Eingangstür hing ein Lautsprecher, mit dem man von Jo auf die Bühne gerufen wurde.
Mehr als 4 Personen hatten nicht sinnvoll Platz in dem Gelass, was nichts daran änderte, dass sich dort zeitweise mehr als zehn Leute aufhielten.
Eines der Hauptmerkmale des Programms bestand darin, dass abwechselnd Gruppen und Solisten auftraten. Wenn man dann Pech hatte, geriet man zwischen eine der südamerikanischen Gruppen, wie den Sikuris, die gerade ihr umfangreiches Instrumentarium einpackten und die Schasstroffs, echte Berliner Russen, die sich auf ihren Gitarren und Balalaikas warm spielten.
Auch gefürchtet war das Zusammentreffen mit Mohammad, der immer den halben Platz brauchte, um seine persischen Handtrommeln, die Dombacs, mittels mitgebrachter Kerzen auf Betriebstemperatur zu bringen.
Da war es angenehmer, wenn man es mit Duos zu tun hatte. So zählten dann auch Ursula und Frank zu meinen ersten Bekannten. Sie machten irische Folklore, leben inzwischen in Irland, touren aber immer wieder durch Deutschland, sympathische Menschen, die Musik mit Herz und Hand machen. Auch größtenteils irische Musik machten damals Achim und Maik. Irish Folk war damals so eine Art Ersatzfolklore für die Deutschen, die dem eigenen Volksgut, vermutlich durch den Missbrauch desselben durch die Nazis, misstrauten. Maik ist noch heute aktiver Musiker, er hat sein Repertoire um Dylan-Songs und Country erweitert und wenn er gut drauf ist, lässt er sich durch seine Mitstreiter Doreen und Olaf sogar zum Singen von deutschen Volksliedern und alten Schlagern überreden.
Sein Partner Achim starb später an Heroin, eine Droge, die damals für die Folkszene untypisch war. Vielleicht haben einige zu der Zeit Haschisch konsumiert, aber nicht im GO-IN. Das wurde von Jo strikt durchgesetzt. Es wurde natürlich heftigst geraucht, aber eben nur Zigaretten. Dann gab’s eben Bier, zwei halbe Liter waren Bestandteil der “Gage”. Meistens trank ich die und fuhr danach nach Kreuzberg und so dauerte es eine ganze Zeit, bis ich noch mehr Künstler kennen lernte.
Es war schon ein buntes Völkchen. John Vaughn, ein Amerikaner mit arschlangen blonden Haaren zum Beispiel. Sein Gesangspartnerin hielt die Haare folglich raspelkurz. John gehörte zu den “Hagelbergern”, Amerikaner, die in Kreuzberg in einer WG lebten und die sowohl solo als auch in verschiedenen Formationen auftraten.
Die Leute aus der Hagelberger Straße treffen sich heute noch alle paar Jahre und spielen ein paar Shows für das frenetische mit ihnen gealterte Publikum. Die Amis blieben, mit Ausnahmen wie Saxophon-Jo Kucera, aber eher unter sich und traten auch eher in einem anderen Club auf, dem “Banana”.
Es gab haufenweise unechte Iren, dafür auch echte Irre, wie den Stammgast Rauschi. Es gab sogar Leute, die klassische Gitarre spielten, es gab Susi (später Frau von Werner Lämmerhirt) mit Tucholski-Rezitationen, manchmal kamen auch Gastkünstler von außerhalb wie Rick Abao, ein schwarzer Blueser, der mit seinen Variationen vom “Jäger aus Kurpfalz” das Publikum zum Toben brachte und zu unser aller Neid immer mehrere Zugaben geben musste und durfte.
Das Publikum rekrutierte sich aus eher studentischen Kreisen und in der Woche auch aus den Schülergruppen, die aus der damaligem Bundesrepublik mindestens einmal während ihrer Gymnasialzeit in (West-)Berlin gewesen sein mussten.
Der Eintritt war, außer an den Wochenenden frei, das Bier war billig. Ab neun Uhr abends kam normalerweise alle halbe Stunde ein neuer Künstler oder eine Gruppe auf die Bühne. Das ging regelmäßig bis ein Uhr nachts, gelegentlich auch länger, zum Abschluss spielten häufig Franz de Byl oder Peter “Wyoming” Bender und es konnte dann auch mal passieren, dass am frühen Morgen bei Sessions mehr Künstler auf der Bühne als Leute im Publikum waren und man dann in den erwachenden Morgen ins Laternchen zum Frühstücken ging.
Als Rausschmeißer spielte Jo dann immer von Schallplatte “Gute Nacht, Freunde”. Das Mobiliar bestand aus alten Nähmaschinentischen, auf denen Kerzen blakten, und Holzbänken.
Auf der Bühne gab es vier Mikrophone, das musste für jegliche Art von Gruppe oder Band reichen und ein altes, natürlich chronisch verstimmtes, Klavier.
Jo, der Geschäftsführer hatte seine ganz eigene Art entwickelt die Künstler anzusagen. “Ja, auf der Bühne da ist nun sie. Sie, unsere kleine Carola mit ihren eigenen Liedern. Wir wünschen uns liebe, nette und vor allem ruhige Gäste, wenn jemand da oben auf der Bühne ist”. Letzteres war nicht immer gegeben, das Publikum unterhielt sich häufig, wenn es sich von der Bühne nicht überzeugend unterhalten fühlte.
Während er Auftritte wurde natürlich weiter serviert, meistens Bier, es wurde immer sofort kassiert. Es war eine harte Schule für Künstler, aber, wer es da schaffte, brauchte sich vor keinem Publikum auf der Welt mehr zu fürchten.
Ich trat dort nach und nach immer häufiger auf, und irgendwann auch in den anderen beiden ähnlichen Clubs. Möglicherweise kam es dazu, weil die Lokale sich gegenseitig anriefen, wenn irgendwo ein Künstler ausgefallen war, zumindest, das GO-IN und der Steve Club.
Im Steve hatte Christoph das Sagen, Liedermacherlegende Hannes Wader war dort Geschäftsführer gewesen, so sagte man, und es gab dort den “Deutschen Abend”, der den Liedermachern vorbehalten war. Diesen machte häufig Ihno van Hasselt, später künstlerischer Leiter der Berliner Jazztage. Die Bühne war winzig, davor hatte allerhöchstens 30 Personen Platz, mehr dafür in dem Raum hinter der auch nach hinten offenen Bühne. Der Künstlerraum war dafür deutlich größer als im GO-IN und man konnte dort regelmäßig die S-Bahn hören, auch die Biergläser in leichtes Vibrieren versetzte. In den Pausen wurden Zeichentrickfilme ohne Ton gezeigt.
Man gab sich im Steve Club etwas anspruchsvoller und nicht jeder, der in den anderen Clubs Erfolg hatte, wurde dort auf die Bühne gelassen. Dritter Club im Bunde war der Folkpub, deutlich schicker, sauberer, aber auch teurer als die beiden anderen.
Wenn man wie ich nach einiger Zeit in mehreren Clubs auftrat, hatte man schon ein paar Mark mehr in der Tasche und ich hatte, da ich noch die staatlichen Studienförderung BAFöG erhielt, ein ordentliches Auskommen und konnte mir damit ein Auto leisten, ohne das ich andererseits nicht jeden dritten Abend von Kreuzberg in den Charlottenburger Kiez gekommen wäre.
© Beppo Pohlmann